Missverständnisse bei der Unternehmensnachfolge

Trotz hoher Medienpräsenz ranken sich rund um das Thema des Generationenwechsels mehrere Missverständnisse. Fokussiert auf die familien-externe Unternehmensnachfolge gehen wir diesen auf den Grund. Unsere Aussagen sind stark vereinfacht, denn zu jedem Kapitel könnten mehrere Seiten gefüllt werden.

  • Missverständnis 1: Für die Unternehmensnachfolge gelten spezielle Regeln

Der Verkauf eines Unternehmens wird oft als Übergabe des Lebenswerks bezeichnet. Es geht also nicht um den Verkauf einer „Sache“, sondern eines emotional stark besetzten Projekts. Für jede Partei ist es in den meisten Fällen auch ein einmaliger Vorgang. Daraus wird der falsche Schluss gezogen, dass solche Transaktionen ausserhalb allgemeiner Normen abgewickelt werden.

Der Nachfolgemarkt ist ein Markt wie jeder andere auch. Ob für Schuhe, Autos oder Unternehmen, gelten die gleichen Regeln von Angebot und Nachfrage. Wenn für den Damenschuh mit gelben Punkten und roter Schnalle keine Nachfrage besteht, geht dieser in den Ausverkauf. Dann zurück ans Lager und in der nächsten Saison zu einem nochmals tieferen Preis erneut in den Ausverkauf. Wenn dafür immer noch keine Nachfrage besteht, wird das Modell liquidiert. Bei Unternehmen läuft das ähnlich ab.

Die Angebots- und Nachfragekurven kennen zwei Variablen, bis es zu einem Abschluss kommt: Zeit und Preis. 

Unsere Meinung:

Jede Firma braucht eine gewisse Attraktivität, damit diese nachgefragt wird. Den Markt kann man nicht überlisten.

  • Missverständnis 2: Wer bezahlt, befiehlt

Das ist ein häufiges Missverständnis. Nicht der Käufer bestimmt den Prozess, sondern der Verkäufer. Das Missverständnis fängt schon bei den vielen Anfragen an, welche wir auf unsere Projektausschreibungen erhalten:

Senden Sie mir die detaillierten Unterlagen der Firma X.
Absender: Name mit einer neutralen Mailadresse, sonst nichts.

Auf unsere Antwort, dass wir zuerst Unterlagen (CV) des Interessenten erwarten, erfahren wir oft viel Unverständnis. Oder wir hören gar nichts mehr. Auch solche Antworten sind aktenkundig: «Was geht Sie mein CV etwas an?» Auch so: «Ich will zuerst Näheres von der Firma erfahren, bevor ich Informationen über mich preisgebe.»

Unsere Meinung:

Kaufinteressenten bewerben sich um den Kauf eines Unternehmens, wie wenn sie sich für eine Führungsposition bewerben würden. Deshalb ist volle Transparenz notwendig. Der Verkäufer, bzw. sein Bevollmächtigter, führt den Prozess.

  • Missverständnis 3: Die Preisbildung

Wir bewegen uns in einer freien Wirtschaftsordnung. Jedermann kann seine Firma zum Preis anbieten, welcher ihm angemessen erscheint. Was ist angemessen?

Unternehmensbewertungen enthalten oft sehr kreative Ansätze. Beliebte Beispiele sind nach oben bereinigte Gewinnzahlen, hohe Multiplikatoren oder tiefe Kapitalisierungssätze. Risiken werden kleingeredet und Chancen in den Himmel gelobt. Meistens fehlen darin auch Angaben zur Finanzierung und wie viele Jahre der Nachfolger arbeiten muss, bis das Investment voraussichtlich zurückfliessen wird.

Es geht oft auch vergessen, dass auf der anderen Seite des Tisches Menschen sitzen, welche a) gut ausgebildet sind, b) gut rechnen können und c) ein gutes Urteilsvermögen haben. Die «Dummen», welche jeden Morgen aufstehen, sind ausgestorben.

Unsere Meinung:

Preisangebote müssen marktfähig sein. Die Verkäufer haben sich in die Situation der Nachfolger zu versetzen. Die zentrale Frage lautet: Was macht die Firma so attraktiv, dass diese zum gewünschten Preis verkauft werden kann?

  • Missverständnis 4: Die Unternehmer sollen froh sein, einen würdigen Nachfolger zu finden

Wir werden oft angefragt, ob wir Zugang zu Unternehmen haben, bei welchen der Patron kürzer treten wolle und seinen Nachfolger über die nächsten Jahre einführen würde. Ein Unternehmer müsste doch ein Interesse daran haben, dass er den Nachfolger sorgfältig auf seine Aufgabe vorbereiten könne.

Solche Wünsche tönen nicht unvernünftig, sind aber unrealistisch. Wer solches wünscht, hat zu wenig Kapital, um eine Firma zu kaufen und / oder zu wenig Selbstvertrauen, um die unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.

Wer zu neuen Ufern aufbrechen will, muss schwimmen und sprichwörtlich ins kalte Wasser springen. Wer immer nur mit der grossen Zehe die Wassertemperatur prüft, wird nie ans Ziel kommen.

Unsere Meinung:

Wer Unternehmer werden will, trägt auch die finanzielle Verantwortung. Volle Führungsverantwortung und geteiltes Risiko gibt es beim Unternehmertum nicht.

  • Missverständnis 5: Unternehmer werden ist nicht schwer

   ...Unternehmer sein, dagegen sehr. (Abwandlung eines Gedichts von Wilhelm Busch).

Es ist erfreulich, wenn sich Menschen für die unternehmerische Selbständigkeit interessieren.
Dass der Wunsch nach Unabhängigkeit oft aus einer Unzufriedenheit am Arbeitsplatz oder dem Verlust der Stelle entsteht, ist verständlich. Der Schritt in die Selbständigkeit ist aber kein Wundermittel, um alle Probleme zu lösen. Denn oft handelt man sich damit neue ein.

Wer gleichzeitig eine neue Arbeitsstelle oder ein Unternehmen sucht, wird sich meistens für die Anstellung entscheiden. Denn es braucht eine innere Überzeugung, den Weg in die Selbständigkeit zu wählen. Als erster Schritt sollte ein eigenes Stärken- / Schwächen-Profil erstellt werden. Daraus ergibt sich: Das kann ich, das will ich.

Viele Unternehmer-Kandidaten gehen offen in den Markt und schauen ganz unterschiedliche Unternehmen an. Trotzdem sollten die eigenen Kernkompetenzen als Richtschnur dienen.

Unsere Meinung:

Der Nachfolger sollte im Ziel-Unternehmen seine Fähigkeiten möglichst gut einbringen können. Je besser die Anforderungen des Unternehmens erfüllt sind, desto geringer ist das Risiko. Neben den Fachkompetenzen sind ebenso Sozialkompetenzen sowie eine überdurchschnittliche Stress-Resistenz notwendig.

Das A und O erfolgreichen Unternehmertums ist aber die Sicht der Kunden, welche in alle Prozesse einzubringen ist.

  • Missverständnis 6: Wegen fehlenden Nachfolgern kann nicht jedes Unternehmen übergeben werden

Die globalisierte Welt dreht immer schneller. Viele Unternehmen werden durch Verschiebungen der Kundenbedürfnisse, der Technologien und des Mitbewerberumfelds langsam aus dem Markt gedrängt. Es ist ein natürlicher Selektionsprozess, dass Firmen, welche nicht der Dynamik der Märkte folgen, nicht mehr in die nächste Generation übergehen können.

Für Unternehmer, welche davon betroffen sind, ist das eine schmerzliche Erfahrung. Die Realität ist stärker als das Prinzip Hoffnung. Da nützt alles Wehklagen nichts, es gebe zu wenige Nachfolger.

Unsere Meinung:

Es gibt für (fast) jedes Unternehmen den richtigen Nachfolger, wenn die Nachfolgefähigkeit bejaht werden kann und der Preis den Marktanforderungen entspricht.

  • Missverständnis 7: Unternehmensnachfolge sollte mehr mit Geist als mit Geld zu tun haben

Wir mussten schon einige Anfeindungen erleben, wenn wir Interessenten wegen der unsicheren Finanzierung nicht berücksichtigen konnten. Das sei unfair, dass jene mit mehr Geld bevorzugt werden.

In einer über 30-seitigen Studie zum Generationenwechsel, welche im Juni 2016 durch renommierte Institutionen publiziert wurde, kommen die Begriffe «Geld», «Kapital», «Eigenkapital», «Finanzierung» kein einziges Mal vor.

Fazit: In dieser Studie wird mit keinem Wort darauf hingewiesen, dass der Kauf eines Unternehmens etwas kostet. Umso deutlicher wird darauf hingewiesen, dass es zukünftig zu wenig Nachfolger geben werde. Wenn das Geld selbst in wissenschaftlichen Studien ausgeblendet wird, muss man sich nicht über das Missverständnis Nr. 7 wundern.

Personen ohne Erfahrung in Finanzfragen, welche ein Unternehmen kaufen wollen, reagieren erstaunt, wenn sie nach ihren Eigenmitteln gefragt werden. Dann kommen Antworten, wie ja, ja, das müsse man anschauen, wenn man die Firma besser kenne. Oder es sei doch üblich, dass der Verkäufer einen grösseren Teil des Preises stehen lasse. Er müsse ja froh sein, einen guten Nachfolger zu finden. Und man kenne auch Leute, welche bei der Finanzierung helfen würden.

Unsere Meinung:

Wer eine Firma kaufen will, wird sich bei seiner unternehmerischen Tätigkeit an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientieren. Dass diese ausgerechnet beim Unternehmenskauf ausgeblendet werden, ist deshalb mehr als fragwürdig. Man bezahlt, was man kauft.

Und noch ein Wunsch an die Verfasser wissenschaftlicher Studien: der Generationenwechsel ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das müsste thematisiert werden. Vor allem, wenn Banken an solchen Studien beteiligt sind.

Paul Stämpfli